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Das Horn von Nashörnern wird in Südostasien nicht nur in der traditionellen Medizin verwendet, es wird vor allem aus kulturellen Gründen stark nachgefragt, denn es ist eine Art Statussymbol. Für ein einzelnes Horn werden mittlerweile Preise von bis zu einer Million Dollar (rund 920.000 Euro) bezahlt - für organisierte Wilderei ein mehr als lukratives Geschäft. Dafür wurden allein in Südafrika nach Regierungsangaben im vergangenen Jahr 420 Breitmaul- und Spitzmaulnashörner illegal getötet.
In ganz Afrika leben derzeit rund 24.000 Nashörner. Um die Tiere zu schützen und sie für Wilderer unattraktiv zu machen, werden sie in etlichen Gegenden Afrikas enthornt. Unter Narkose wird ihnen das Horn mit einer Kettensäge oberhalb der Wachstumszone abgeschnitten.
(Bild) Ein Breitmaulnashorn wird im Großraum des Krüger-Nationalparks enthornt
Greater Kruger Environmental Protection Foundation Zum Schutz vor Wilderern wird Nashörnern unter Narkose das Horn abgesägtWie effizient diese Maßnahme tatsächlich ist, hat nun ein Wissenschaftsteam um den Biodiversitätsforscher Tim Kuiper von der Nelson-Mandela-Universität in Gqeberha (Südafrika) untersucht. Dafür analysierten die Forscherinnen und Forscher Daten, die zwischen 2017 und 2023 in elf unterschiedlichen Reservaten im Gebiet des Kruger-Nationalparks, in denen zum Teil Enthornung praktiziert wird, gesammelt wurden.
Wilderei eingedämmtInsgesamt wurden im Untersuchungszeitraum 1.985 Breitmaul- (Ceratotherium simum) und Spitzmaulnashörner (Diceros bicornis) getötet - jährlich knapp sieben Prozent der in diesem Gebiet lebenden Nashornpopulation. Das berichten die Studienautorinnen und -autoren im Fachjournal "Science".
Im Durchschnitt konnte die Wilderei durch das Absägen der Hörner um rund 78 Prozent eingedämmt werden. "Anhand von Daten aus allen Reservaten und Jahren schätzten wir das Wildereirisiko für ein einzelnes Nashorn mit Horn in einem bestimmten Jahr auf 13 Prozent. Das Wildereirisiko für ein enthorntes Nashorn beträgt im Vergleich nur 0,6 Prozent", so der Forscher.
Diese Maßnahme sei zudem weitaus kostengünstiger als die Bekämpfung von Wilderei mit Wildhütern, Spürhunden, Hubschrauberüberwachung und Zugangskontrollen zu Reservaten, sagt Kuiper. Dafür gaben die elf Reservate zwischen 2017 und 2021 rund 65 Millionen Euro aus, während für die Enthornung von insgesamt 2.284 Tieren lediglich 1,2 Prozent dieses Budgets aufgewendet werden mussten.
Keine langfristige StrategieSo vielversprechend diese Ergebnisse auch klingen, es gibt eine Schattenseite: Weil das Horn von Nashörnern wie menschliche Fingernägel und Haare aus Keratin besteht, wächst es relativ rasch wieder nach - und das macht die Jagd selbst auf erst kürzlich enthornte Tiere für Wilderer wieder attraktiv. Nach Abschluss ihrer Studie stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass die illegale Jagd auf Nashörner im Untersuchungsgebiet erneut zunahm.
Für den Leiter des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie im deutschen Konstanz, Martin Wikelski, der selbst nicht an der Untersuchung im Kruger-Nationalpark beteiligt war, ist das wenig verwunderlich: "Die Wilderer gehen (vorübergehend) natürlich in benachbarte Parks und schießen dort Nashörner. Wenn die ausgeräumt sind, kommen sie zurück - so wie jetzt im Kruger-Nationalpark - und wildern auch die Nashörner, die gerade ein nachwachsendes Horn haben", erklärt der Biologe gegenüber ORF Wissen.
"Beste und größte Waffe"Um das langfristig zu verhindern, müsste man Nashörnern etwa alle eineinhalb Jahre das Horn absägen. Das sei nicht nur aufwendig, sondern bereite den Tieren, die dafür mit Helikoptern aufgespürt, verfolgt und mit Narkosepfeilen aus der Luft betäubt werden, auch Stress.
"Und man nimmt einem Nashorn damit natürlich auch seine beste und größte Waffe weg. (…) Die Tiere wissen, dass sie kein Horn mehr haben. Wenn der Löwe kommt, sind sie nicht mehr so wehrfähig, können ihre Jungen nicht mehr verteidigen. Man sieht, dass sie sich vorsichtiger bewegen - im menschlichen Bereich würde man sagen, sie sind ein bisschen deprimiert."
(Bild) Enthorntes Spitzmaulnashorn im Krüger-Gebiet mit zum Teil nachgewachsenem Horn
Tim Kuiper Enthorntes Spitzmaulnashorn mit zum Teil wieder nachgewachsenem HornMittelfristig sei diese Maßnahme aber trotzdem eine praktikable Lösung, um die gefährdeten Tiere zu schützen. Denn das Enthornen habe nach bisherigen Erkenntnissen keine nennenswerten Auswirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit und die sozialen Interaktionen der Nashörner. Aber auf lange Sicht brauche es andere Überlegungen.
Korruptes SystemIn privaten Reservaten in Namibia besendert Wikelski mit seinem Team Nashörner und andere große Wildtiere mit kaum mehr sichtbaren Sendern in der Größe einer Ohrmarke. Doch selbst das schrecke Wilderer nicht ab.
Es sei über das Verhalten anderer Tiere wie Giraffen, Zebras, Gnus und Löwen feststellbar, dass Wilderer unterwegs seien, so Wikelski: "Sie müssen dann von Rangern in Echtzeit vor Ort gefangengenommen werden." Das gelinge auch zum Teil, erzählt Wikelski, "aber in manchen Gegenden werden die Ranger von der Mafia gekauft oder unterdrückt und bedroht". Und so laufe die Wilderei nahezu ungehindert weiter.
Das bestätigen auch die Autorinnen und Autoren der Studie aus dem Kruger-Nationalpark. Obwohl während ihrer sieben Jahre dauernden Untersuchungen mehr als 700 Wilderer verhaftet wurden, brachte das keinen merklichen Rückgang der illegalen Jagd auf horntragende Nashörner. "Schließlich führen ineffektive Strafrechtssysteme dazu, dass festgenommene Täter oft einer Bestrafung entgehen. In unserem Untersuchungsgebiet gibt es Belege für zahlreiche Wiederholungstäter", so Kuiper.
Jahrtausendealte TraditionWährend der Biodiversitätsforscher aus Südafrika im Enthornen der Tiere eine effektive Strategie sieht, um Nashornwilderei einzudämmen, ist der deutsche Verhaltensbiologe Wikelski skeptisch. Man müsse verstehen, welchen Stellenwert das Horn eines Nashorns im südostasiatischen Raum habe. Es handle sich keineswegs nur um ein - aus europäischem Verständnis fragwürdiges - Medikament in der traditionellen Medizin oder ein Potenzmittel.
"Anscheinend kommen die meisten Hörner zu großen Geschäftsleuten. Ein erfolgreicher Businessdeal wird mit einer Tasse Tee und ein paar Flocken Nashorn darin gefeiert - es fungiert als eine Art soziales Bonding zwischen den Geschäftspartnern. Das hat eine 2.000 Jahre lange Tradition. Die von heute auf morgen abzuschaffen wird nicht funktionieren."
Tim Kuiper Breitmaulnashorn mit imposantem Horn - seiner "besten und größten Waffe"Deshalb plädiert Wikelski für eine Legalisierung des seit mehr als 45 Jahren verbotenen Hornhandels, um der organisierten Wilderei die Geschäftsgrundlage abzugraben. Eine Idee, die bisher im Artenschutz sehr umstritten ist, mittlerweile aber auch von der Weltnaturschutzunion (IUCN) in Erwägung gezogen wird. In ihren neuen Leitlinien (von Februar 2025) wird als eine von sechs strategischen Säulen zum Schutz von Nashörnern "Hornmärkte verstehen und beeinflussen" genannt.
Hörner für den ArtenschutzDie aus einem legalen Handel lukrierten Gelder könnten wiederum dem Artenschutz zugutekommen, meint Wikelski: "Es sind tonnenweise Hörner von Tieren in den Safes, die in Südafrika zum Schutz enthornt werden. Das sind Milliarden Dollar, die für den Naturschutz gebraucht werden." Zudem könnten auch in privat geführten Nashornschutzgebieten alle paar Jahre Tiere enthornt werden, um den Handel langfristig zu bedienen.
"Da kann man auch genetische Proben nehmen und über DNA und die (im Kryptowährungssektor wesentliche, Anm.) Blockchain rückverfolgen, wo das Horn tatsächlich hingeht." Und in großen, touristisch genutzten Nationalparks könnten die Tiere ihre Hörner behalten - und Besucherinnen und Besucher Nashörner wieder in voller Pracht bestaunen.
Ob sich diese Überlegungen tatsächlich durchsetzen werden, muss sich erst zeigen. Zuletzt wurde eine Legalisierung des Hornhandels bei der Artenschutzkonferenz 2022 abgelehnt - der Verkauf von Nashornhorn bleibt bis auf Weiteres verboten.
Dieser Artikel stammt von ORF und nicht von Retrospace. Für den Inhalt ist ORF verantwortlich.
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